GPHF 2004: Arzneimittelfälschungen - Ein skrupelloses Geschäft
Gefälschte Medikamente: Ein weltweites Problem
"Plagiate sind wahrscheinlich die aufrichtigsten aller Komplimente", schrieb Theodor Fontane. Aber auf Komplimente sollte man verzichten, wenn sie Menschen schaden. Markenprodukte, z. B. Uhren oder Kleidung, sind weltweit bekannt und begehrt und wecken weltweit das Interesse skrupelloser Produktfälscher. Dies gilt in zunehmendem Maße auch für Arzneimittel.
Die Fälschung von Arzneimitteln und das bewusste Inverkehrbringen von gefälschten Medikamenten haben sich mittlerweile zu einem ernsten Problem der Weltgesundheit entwickelt.
Fehlende Kontrollen, die verständliche Zurückhaltung betroffener Hersteller und die Tatsache, dass Arzneimittelfälschungen letztlich ein Teilbereich der organisierten Kriminalität sind, legen die Vermutung nahe, dass das wahre Ausmaß des Problems noch im Dunkeln liegt.
Grausame Realitäten: Beispiele von Arzneimittelfälschungen
Es ist unstrittig, Arzneimittel spielen in der Gesundheitsversorgung eine wichtige Rolle: Sie retten Leben, beschleunigen die Heilung von Erkrankungen und lindern die Symptome von Krankheiten, die heute noch nicht ursächlich bekämpft werden können. Um so verwerflicher ist es, wenn Arzneimittel gefälscht werden und so zur Ursache von Leiden oder Tod werden:
Nigeria 1990:
Ein Hustensaft wird mit giftigem Lösungsmittel "gestreckt". Über 100 Kinder sterben.Mexiko 1991:
Tausende Brandsalben enthalten Sägemehl.Bangladesh 1992:
Von 137 analysierten angeblichen Markenpräparaten erweisen sich 37 als qualitativ fragwürdig.Türkei 1993:
1993 wird ein Apotheker verhaftet, der Medikamente nach Afrika exportieren will. Der Wirkstoff seiner "Medikamente" besteht aus Backpulver.Kamerun 1994:
In einer Untersuchung erweisen sich 20 Prozent der untersuchten Arzneimittelproben als minderwertig.Niger 1995:
Nach Informationen der "Ärzte ohne Grenzen" enthält ein Meningitis-Impfstoff nur Wasser.Haiti 1996:
Mindestens 59 Kinder starben nach der Einnahme eines gefälschten Fiebersirups.China 1997:
Im Rahmen von Untersuchungen erweisen sich 10 Prozent der getesteten Medikamente als minderwertig oder gefälscht.Kenia 1998:
Vorgebliche Anti-Malaria-Präparate erweisen sich als wirkungslos. Die Zahl der unmittelbar Geschädigten kann nur geschätzt werden.Malawi 1999:
Die angesehenen Zeitschrift Africa Health berichtet, das Land werde von gefälschten Arzneimitteln förmlich überschwemmt.Kambodscha 2000:
Aus dem südostasiatischen Staat werden mindestens 30 Tote durch gefälschte Anti-Malaria-Präparate gemeldet.China 2001:
Nach Angaben der Shenzhen Evening News starben in diesem Jahr in China weit über 100.000 Menschen an den Folgen gefälschter Medikamente.Nigeria 2002:
Der Leiter der staatlichen Arzneimittelüberwachung stellt fest: 60 Prozent unserer Arzneimittel sind gefälscht, qualitativ minderwertig oder ihr Verfallsdatum ist abgelaufen.Schweiz 2003:
Die Weltgesundheitsorganisation erklärt, durchschnittlich 10 bis 20 Prozent aller Arzneimittel in den Entwicklungsländern sind Sub-Standard.
Beispiele, die belegen, dass der Mangel an Arzneimitteln, der noch immer in vielen Ländern herrscht, skrupellos ausgenutzt wird.
Den Fälschungen auf der Spur - Eine Bilanz des Grauens
Für die Jahre zwischen 1982 und 1999 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit über 770 Arzneimittelfälschungen erfasst und dokumentiert. Über 50 Prozent der Fälle betrafen allein die Jahre seit 1993 – Tendenz steigend. Nahezu 70 Prozent der Fälschungen wurden in den Entwicklungsländern entdeckt, vor allem in den Staaten Afrikas. Weit mehr als ein Drittel aller Fälle betrafen Antibiotika – die Medikamentengruppe, die am häufigsten von Fälschungen betroffen ist.
Fast 60 Prozent der von der WHO detailliert dokumentierten Fälschungen enthielten keinen Wirkstoff, 19 Prozent eine falsche Menge der Wirkstoffe und 16 Prozent gänzlich falsche Wirkstoffe. Nur die wenigsten der dokumentierten Fälschungen enthielten die korrekte Qualität und Quantität der Inhaltsstoffe wie vergleichbare Originalpräparate.
Die Menschen in Afrika,
Asien und Südamerika
sind besonders von Arzneimittelfälschungen betroffen.
Was wird gefälscht? Vier Typen von Arzneimittelfälschungen
Grundsätzlich gilt, gefälscht wird alles: Wirkstoffe, Dosierungen, Beipackzettel, Verpackungen, Herstellernamen, Chargennummern, Verfallsdaten und Dokumente über angebliche Qualitätskontrollen. Dabei lassen sich vier Gruppen von Fälschungen unterscheiden:
- Die perfekte Imitation eines Präparates mit denselben Wirkstoffen und identischer Verpackung. Unter medizinischen Gesichtspunkten besteht ein geringes Risiko, vorausgesetzt, die Präparate sind qualitativ einwandfrei.
- Fälschungen in der identischen Verpackung eines Markenzeichenproduktes. Der angegebene Wirkstoff ist meist auch hierin noch enthalten, oft aber weder in ausreichender Quantität noch Qualität. Die Folgen: mangelnde Wirkung und - im Falle von Antibiotika -Resistenzbildung bei Krankheitserregern.
- Ein Produkt sieht wie ein Arzneimittel aus, enthält aber keinen Wirkstoff. Auch wenn die Fälschung "nur" Traubenzucker enthält: Die Krankheit wird weder geheilt, noch werden die Schmerzen gelindert.
- Das gefälschte Arzneimittel enthält gesundheitsschädliche oder giftige Stoffe und führt zu körperlichen Schäden oder zum Tod.
"Alles, was man für die Fälschung von Medikamenten braucht, ist eine Person mit Zugang zu einem kleinen Labor, einer Neigung zum Diebstahl und die totale Missachtung der Menschenwürde."
(Milton Silverman, Universität San Francisco)
Arzneimittelfälschungen - Nur ein Problem der Entwicklungsländer?
Während in den Industrienationen aufgrund der arzneimittelrechtlichen Anforderungen und Kontrollen, des dichten Informationsnetzes und der engen Zusammenarbeit von Herstellern, pharmazeutischem Großhandel, Apotheken und Behörden ein hohes Maß an Arzneimittelsicherheit herrscht, fehlen in Entwicklungsländern oft die Voraussetzungen für eine wirksame Arzneimittelkontrolle:
- Mängel in der Registrierung der vertriebenen Medikamente
- Defizite in der Überwachung der Produktion
- Schwierigkeiten bei der Importkontrolle
- fehlende Laboratorien und fehlendes Personal, um Kontrollen durchzuführen
Viele Grenzen sind zudem kaum zu überwachen, so dass Arzneimittel vielerorts gänzlich unkontrolliert auf die Märkte gelangen können.
Arzneimittelfälschungen sind aber nicht nur ein Problem der Entwicklungsländer. Auch in Europa und Nordamerika mehren sich nach Informationen der WHO die Anzeichen für ein Vordringen gefälschter Medikamente. So wurden in den USA 1,5 Millionen Antibabypillen beschlagnahmt, die zu wenig Wirkstoff enthielten, und in britischen Fitness-Studios entdeckte man Mittel zur Muskelbildung in nicht zugelassenen Injektionsformen.
"Solange die Pille gleich groß ist und die gleiche Farbe hat wie das Original, kann sie weder vom Arzt noch vom Apotheker, geschweige denn vom Patienten als Fälschung identifiziert werden."
(Richard Arnold, IFPMA)
Schutz vor Fälschungen: Internationale Initiativen
Auch für Deutschland ist eine Gefährdung durch Arzneimittelfälschungen nicht auszuschließen, zumal über deutsche Freihäfen bereits unterdosierte Medikamente verschifft, in deutschen Apotheken gefälschte Arzneimittel entdeckt und ein von Niederbayern aus agierender Ring von Anabolika-Fälschern ausgehoben wurde.
Alle national und international Verantwortlichen sind aufgerufen, die strenge Arzneimittelkontrolle in den Industrienationen weiterzuentwickeln und die Entwicklungsländer beim Aufbau einer wirksamen Basiskontrolle zu unterstützen.
Gefälschte Medikamente - Tipps für Verbraucher und Touristen
- Kaufen Sie Arzneimittel grundsätzlich nur in der Apotheke. Dies gilt insbesondere, wenn Sie sich im Ausland aufhalten.
- Kaufen Sie Arzneimittel keinesfalls auf Märkten oder bei fliegenden Händlern.
- Kaufen Sie Medikamente für den Urlaub oder für die Geschäftsreise ins Ausland schon vor Antritt Ihrer Reise in einer Apotheke Ihres Vertrauens.
- Vergewissern Sie sich bei Ihrem Reiseveranstalter oder den zuständigen Behörden, dass Sie die benötigten Arzneimittel für den persönlichen Gebrauch in das betreffende Land einführen dürfen.
- Verwenden Sie keine Arzneimittel, deren Verpackung bereits mangelhaft, beschädigt oder verschmutzt ist.
- Verwenden Sie keine Arzneimittel, auf denen der Name des Medikamentes, das Verfallsdatum, die Chargennummer oder der Herstellername fehlen oder fehlerhaft erscheinen.
- Verwenden Sie keine Arzneimittel, deren Verfallsdatum bereits überschritten ist.